12.01.21
„Unbegrenzt Leistungsfähig“ – nicht ausreichend als Angabe über das Einkommen
BGH Beschluss vom 16.09.2020, Az. XII ZB 49/19
Sachverhalt:
Nach der Scheidung eines Ehepaares vor mehreren Jahren, wurde eine Vereinbarung getroffen, welche den Unterhalt für das nunmehr neunjährige Kind bis zum Jahr 2019 regelte.
Nach Ablauf dieser Frist sollte der Vater 160 Prozent des gültigen Mindestunterhaltes der jeweiligen Altersgruppe – berechnet nach der Düsseldorfer Tabelle – bezahlen. Hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit gab der Vater an, „unbegrenzt leistungsfähig“ zu sein. Über letzteres ist nunmehr der Streit entbrannt, ob der Vater dazu verpflichtet sei, sein genaues Einkommen offenzulegen.
Entscheidung:
Die Entscheidung des OLG München (Entscheidung vom 23.04.2019, Az. 533 F 11011/18) hat der BGH nun bestätigt.
Danach muss eine Offenlegung des genauen Einkommens erfolgen. Eine solche kann nur dann unterbleiben, wenn diese keine Bedeutung für den Unterhaltsanspruch habe.
Anders als das OLG hält der BGH eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bei Einkommen über 5.500 EUR netto im Monat für „nicht ausgeschlossen“. Diese ist begrenzt bis zur Höhe des Doppelten des höchsten darin ausgewiesenen Einkommensbetrags. Zuvor wurde lediglich eine Einzelfallprüfung vorgenommen.
Zur Begründung führte der BGH an, dass Kinder an dem Lebensstandard der Eltern automatisch teilnehmen würden. Dies gelte auch für den Unterhalt und zwar auch bei Übersteigen des Höchstbetrages des in der Düsseldorfer Tabelle aufgenommenen Einkommens.
Fazit:
Die Angabe des genauen Einkommens ist v.a. dann notwendig, wenn es um die Haftungsquoten hinsichtlich des Mehrbedarfs geht. Ohne die Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle würde es zu einer faktischen Festschreibung des Kindesunterhaltes auf den für die höchste Einkommensgruppe geltenden Betrag kommen.
22.01.21
FCK BFE – ACAB – FCK CPS – Beleidigung?
BVerfG Beschl. v. 08.12.2020, Az. 1 BvR 842/19
Sachverhalt:
Der Verurteilte hatte in der Vergangenheit bereits wiederholt mit der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Polizei zu tun. Anlässlich eines Strafverfahrens gegen einen Rechtsextremen nahm der Mann an einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude teil. Auf dieser Demo trug der Mann einen Pullover mit der Aufschrift „FCK BFE“. Diese Aufschrift war trotz seiner Jacke gut sichtbar. Zunächst wurde er von der anwesenden Polizei dazu aufgefordert die Aufschrift zu verdecken. Da der Mann dies aber nicht tat, wurde die Beschlagnahme des Pullovers angeordnet. Unter dem Pullover hatte der Mann jedoch ein T-Shirt mit derselben Aufschrift an. Das Amtsgericht verurteilte den Mann, wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe iHv. 15 Tagessätzen je 40 EUR.
Entscheidung:
Diese Verurteilung hat nun das BVerfG bestätigt und einen Eingriff in die Meinungsfreiheit für gerechtfertigt erhalten. In diesem Fall ist ein wesentlicher Aspekt anders als in den Fällen der Botschaften durch „ACAB“ und „FCK CPS“. Denn die Aufschrift „FCK BFE“ kann personalisierend zugeordnet werden. Durch das Bezugnehmen auf das Kollektiv (hinreichend überschaubare Personengruppe) der BFE ist diese Aufschrift erheblich spezifischer und eher abgrenzbar. Bei dieser Entscheidung spielte jedoch auch die Vergangenheit mit der bestimmten Polizeieinheit eine Rolle. Denn der Verurteilte hatte zuvor wiederholt mit der BFE zu tun. Folglich war ein planvolles, bestimmte Beamtinnen und Beamte herabsetzendes Vorgehen erkennbar.
Fazit:
Die Verfassungsbeschwerde hatte somit keinen Erfolg.
08.01.21
Berliner Zwillingsfall
BGH Beschluss vom 11.11.2020, Az. 5 StR 256/20
Sachverhalt:
Im Jahr 2010 gebar eine Frau Zwillinge. Während der Schwangerschaft kam es zu Komplikationen, weshalb eines der Babys bei der Geburt an schweren Hirnschäden litt, das Andere völlig gesund war.
Es wurde die Indikation für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch gestellt. Die Mutter gebar das gesunde Kind mittels Kaiserschnitts. Anschließend töteten die Ärzte das kranke Baby in Absprache mit der Mutter, obwohl es lebensfähig war. Die Tötung geschah durch die Verabreichung einer Kaliumchloridlösung. Dieser Vorgang war für das andere Baby mit erheblichen Risiken verbunden.
Entscheidung:
Das erstinstanzliche Gericht (LG Berlin, 19.11.2019) verurteilte die Ärzte wegen gemeinschaftlichen Totschlags. Diese Entscheidung bestätigte der 5. Senat des BGH am 11.11.2020. Der BGH führte aus, dass die Regeln des straffreien Schwangerschaftsabbruches nur bis zum Beginn der Geburt gelten würden. Bei der Vornahme eines Kaiserschnitts sei die Geburt mit der Eröffnung der Gebärmutter gegeben. Denn zu diesem Zeitpunkt soll das Kind von dem Mutterleib getrennt werden. Ein „Totspritzen“ eines Kindes im offenen Mutterleib sei somit von den Regeln nicht mehr umfasst. Dies gilt unabhängig davon, ob ein oder mehrere Kinder geboren werden. Straferschwerend legte das LG den Ärzten zur Last, dass sie die Tat geplant und nicht in einer Notsituation gehandelt hätten. Dies wies der BGH als unzulässigen Erschwerungsgrund zurück, weshalb das LG nochmals über die Höhe der verhängten Strafe entscheiden muss.
Fazit:
Ein straffreier Schwangerschaftsabbruch mit Beginn der Geburt scheidet somit aus. Der BGH verurteilte die Vorgehensweise der Ärzte als „Aussortieren eines kranken Kindes“.
25.11.20
Ungeeichte Stoppuhr zur Zeitmessung bei Rotlichtverstoß
BayObLG, Beschls v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19
Sachverhalt:
Der Betroffene fuhr über eine rote Ampel, deren Rotlichtphase bereits länger als eine Sekunde andauerte. Ein qualifizierter Rotlichtverstoß stand im Raum. Die Dauer der Rotlichtphase wurde von der Polizei mittels einer ungeeichten Stoppuhr eines Mobiltelefons gemessen.
Entscheidung:
Das BayObLG führte in seinem Beschluss vom 19.08.2019 ( 201 ObOWi 238/19) aus, dass bei einer ungeeichten Stoppuhr, ähnlich wie in den Fällen der Geschwindigkeitsmessungen mit ungeeichten Tachometern zu verfahren ist. Folglich einen Toleranzwert von 0,3 oder mehr Sekunden von der gemessenen Zeit abziehen muss.
Der abzuziehende Wert wird nach den externen Fehlerquellen (z.B. Ungenauigkeit hinsichtlich der Fahrtzeit von der Haltelinie bis zum Bedienen der Stoppuhr) und geräteeigene Fehlerquellen (verzögerte Reaktionszeit des Geräts, Ungenauigkeit der Zeitanzeige), die das Gericht im Urteil zu benennen hat, beurteilt. Nur durch diese Zusammenschau kann entschieden werden, ob lediglich ein Toleranzwert von 0,3 Sekunden oder mehr abgezogen wird.
Erst dann ist die Messung als Beweis verwertbar.
Auch nach dem Inkrafttreten des MessEG (31.08.2015) und der MessEV (11.12.2014) hat sich an dieser Vorgehensweise nichts geändert, weshalb weiterhin ein Abzug des Toleranzwertes erfolgen muss.
Ziel ist es durch den Abzug dieses Wertes Messungenauigkeiten und sonstige Fehlerquellen auszugleichen und so die qualitätsmäßigen Bedenken an der Messqualität auszuräumen.
Fazit:
Beachtet das Gericht diese Fehlerquellen nicht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Rotlichtphase weniger als eine Sekunde angedauert hat.
Dies hat enorme Auswirkungen auf die Schuld des Betroffenen.
19.11.20
Häufige Fragen / FAQ zum Familienrecht – Teil 2
Ehevertrag/Scheidungsfolgenvereinbarung
Wie läuft eine mündliche Verhandlung in einem Scheidungsverfahren vor dem Familiengericht ab?
Wenn das Trennungsjahr abgelaufen ist und die Scheidungsfolgen (zumindest der Versorgungsausgleich) geklärt sind, bestimmt das Familiengericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung in Scheidungs- und Folgesachen. Zu diesem Termin wird Ihr persönliches Erscheinen angeordnet, da das Gericht sich durch Ihre Anhörung versichern muss, dass die Voraussetzungen für den Ausspruch der Ehescheidung vorliegen. Im Gerichtstermin müssen Sie sich durch Vorlage eines Reisepasses oder Personalausweises ausweisen. Dies dient der Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit. Auch die Heiratsurkunde ist spätestens zu diesem Zeitpunkt dem Gericht im Original vorzulegen. Liegt diese nicht vor, kann die Ehe nicht geschieden werden. Das Gericht wird Sie persönlich befragen seit wann Sie getrennt leben, ob Sie Ihre Ehe für zerrüttet und gescheitert halten und ob Sie geschieden werden möchten. Dies ist gesetzlich so vorgesehen. Wenn diese Fragen so beantwortet werden, dass das Gericht hieraus schließen kann, dass das Trennungsjahr abgelaufen ist und dass eine Fortsetzung der Ehe nicht mehr zu erwarten ist, wird nach Klärung der Folgesachen im Anschluss die Ehe geschieden.
Die Besprechung der Folgesachen in der Verhandlung erfolgt üblicherweise zwischen dem Gericht und den beteiligten Anwälten.
Folgesachen - Versorgungsausgleich
Im sog. Zwangsverbund muss das Familiengericht bei Einreichung eines Antrags auf Ehescheidung von Amts wegen auch den Versorgungsausgleich durchführen. Dies erfolgt Ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich um eine kurze Ehedauer (weniger als drei Jahre zwischen der standesamtlichen Eheschließung und der Zustellung des Scheidungsantrags) handelt oder dieser per Ehevertrag ausgeschlossen wurde. Im letzten Fall hat das Gericht dann aber zu überprüfen, ob der Ausschluss eine Inhalts- bzw. Ausübungskontrolle standhält.
In den Versorgungsausgleich fallen alle künftigen Rentenanrechte (=Anwartschaften), die bei Erreichen der Regelaltersgrenze als laufende Renten ausbezahlt werden. Es handelt sich hierbei also um die Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. um künftige Pensionsansprüche, aber ebenfalls um betriebliche und private Rentenanwartschaften. Ausgeglichen werden hierbei die sog. Ehezeitanteile, d.h. die Anwartschaften, die in der Ehezeit erworben wurden. Als Ehezeit gilt hierbei der erste des Monats, in dem die Ehe geschlossen wurde bis zum letzten des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags.
Beispiel: Standesamtliche Eheschließung am 30.12.2006, Zustellung des Scheidungsantrags am 03.08.2019; Ehezeit damit für den Versorgungsausgleich vom 01.12.2006 bis 30.07.2019
Alle in diesem Zeitraum erworbenen Rentenanwartschaften sind vom Familiengericht von Amts wegen zu ermitteln, d.h. die Eheleute haben im Verfahren anzugeben, bei welchem Rentenversicherungsträger sie Anrechte erworben haben und das Familiengericht hat sodann die Rentenversicherungsträger aufzufordern, entsprechende Auskünfte gegenüber dem Gericht zu erteilen. Bis diese Auskünfte vollständig eingegangen sind, vergehen in der Regel mehrere Monate.
Im Grundsatz werden alle während der Ehezeit erworbenen Anrechte hälftig geteilt. Für den ausgleichberechtigten Ehegatten werden dann entweder beim selben Versicherungsträger Rentenanrechte (= interne Teilung) oder bei einem dritten Versicherungsträger Anrechte begründet (= externe Teilung). Bei der externen Teilung kann im Regelfall der Ausgleichsberechtigte einen Rentenversicherungsträger benennen, bei dem dann bestehende Anrechte erweitert oder neu begründet werden. Wird dieses Wahlrecht nicht ausgeübt, so erfolgt die externe Teilung indem ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wird.
Eine Ausnahme besteht bei Anrechten aus öffentlich-rechtlichen Dienst-oder Amtsverhältnissen (u.a. Beamte, Soldaten o.ä.). Eine interne Teilung wird nur dann vorgenommen, wenn der Träger des öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses eine interne Teilung zulässt. Im Regelfall erfolgt daher in diesen Fällen ein Ausgleich in die gesetzliche Rentenversicherung.
Der Versorgungsausgleich wird zusammen mit dem Ausspruch der Ehescheidung durchgeführt. Im Endbeschluss, mit dem die Ehe geschieden wird, werden zugleich auch die beteiligten Rentenversicherungsträger vom Familiengericht angewiesen die auszugleichenden Anrechte gem. der Beschlussformel zu teilen.
Ihre Mitwirkung ist hierbei nicht erforderlich. Im Regelfall werden Sie von den Rentenversicherungsträgern einige Zeit nach Rechtskraft der Entscheidung über die vorgenommene Teilung bzw. der Begründung eines Anrechts informiert
17.11.20
Das Migrationspaket – die Gesetzesänderungen auf einen Blick
Seit dem 01.03.2020 ist das Migrationspaket in Kraft getreten.
Eine der größten Änderungen war dabei die Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes.
Eine Neuregelung der Aufenthaltstitel zum Zwecke der Erwerbstätigkeit und der Ausbildung war die Folge.
Ziel des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ist es, dass Fachkräfte durch das beschleunigte Verfahren schneller einen Aufenthaltstitel erhalten sollen und damit arbeiten können.
Eine zweite wichtige Änderung ist, dass nunmehr die Einreise und ein zeitlich begrenzter Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsplatz-, Ausbildungsplatz-, oder Studienplatzsuche möglich ist.
Es wurde ferner die sogenannte Duldung „light“ eingeführt, die Personen mit ungeklärter Identität erhalten. Durch diese Duldung ist es der Ausländerbehörde möglich eine Wohnsitzauflage und ein Arbeitsverbot zu erteilen.
Die Ausbildungsduldung kann nun auch für Assistenz- und Helferberufe erteilt werden. Voraussetzung für die Ausbildungsduldung ist, dass der Geduldete seit mindestens drei Monaten im Besitz einer Aufenthaltsduldung ist.
Neben der Ausbildungsduldung gibt es seit dem 01.03.2020 die Möglichkeit eine Beschäftigungsduldung zu erteilen. Diese kann für max. 2,5 Jahre erteilt werden.
Voraussetzung für die Beschäftigungsduldung ist, dass der Antragsteller/in bis zum 01.08.2018 in das Bundesgebiet eingereist ist und mindestens 12 Monate die Duldung besitzt.
Bereits im 23.09.2020 hat die EU-Kommission ein neues Migrations- und Asylpaket vorgelegt.
Es bleibt abzuwarten, was die Reform für Änderungen mit sich bringen wird.
10.11.20
Genügt der Begriff der Schrittgeschwindigkeit dem Bestimmtheitsgebot?
OLG Hamm, Beschl. V. 28.11.2019 – 1 RBs 220/19
Das Bestimmtheitsgebot ist in Art. 103 Abs.2 GG geregelt und fordert eine hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der Norm. Ziel ist es, dass jedermann hervorsehen kann, welches Handeln wie sanktioniert wird, um sich entsprechend darauf einstellen zu können.
In § 42 StVO i.V.m. dem Verkehrszeichen 325.1 in Abschnitt 4 der Anlage 3 darf in einem verkehrsberuhigten Bereich nur „Schrittgeschwindigkeit“ gefahren werden – eine nähere gesetzliche Definition des Begriffes lässt sich nicht finden.
Somit lässt das Wort „Schrittgeschwindigkeit“ viele Interpretationsmöglichkeiten zu. Halte ich mich mit max. 7 km/h an die Schrittgeschwindigkeit, oder auch noch mit max. 10 km/h?
Nach dem Beschluss des OLG Hamms ist der Begriff der Schrittgeschwindigkeit mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar, wenn dieser durch eine Auslegung, mittels Rechtsprechung, hinreichend bestimmt werden kann.
Das OLG Hamm geht bei der Auslegung in zwei Schritten vor.
Zunächst stellt das OLG auf die verständige Würdigung eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers bezüglich des Begriffs der Schrittgeschwindigkeit ab. Hiernach wird mit dem Begriff eine Form des Gehens, mit der Geschwindigkeit eines normalen Fußgängers (nicht die eines Spitzensportlers) verbunden.
Ferner zieht das OLG Untergrenzen anderer Rechtsnormen zur Auslegung heran.
Der BGH selbst hat sich noch nicht dazu geäußert, ob er 10 km/h noch als Schrittgeschwindigkeit ansieht, oder bereits bei 7 km/h die Grenze zieht.
Dies hat nach Ansicht des OLG Hamm zur Folge, dass unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots und des Schuldprinzips dem Betroffenen erst bei der Überschreitung des Wertes von 10 km/h ein Verstoß gegen das Gebot der Schrittgeschwindigkeit zur Last gelegt werden kann.
06.11.20
Häufige Fragen / FAQ zum Familienrecht – Teil 1
Dauer eines Scheidungsverfahrens?
Exakt vorhersagen lässt sich dies nicht. Juristen reden vom Scheidungsverbundverfahren. Eine Ehe kann durch das Familiengericht geschieden werden, wenn das Trennungsjahr abgelaufen ist, einer der Eheleute Antrag auf Ehescheidung durch einen Rechtsanwalt stellen lässt und der Andere zumindest der Scheidung zustimmt.
Mit der Scheidung müssen/können im Verbundverfahren sog. Folgesachen geregelt werden. Diese Folgesachen sind im FamFG abschließend aufgeführt.
Zwingend, da gesetzlich so vorgesehen, hat das Gericht im Zuge eines Scheidungsverfahrens im sog. Zwangsverbund den Versorgungsausgleich (Teilung der während der Ehezeit erworbenen künftigen Rentenrechte) durchzuführen. Im Regelfall dauert die Klärung der Rentenanrechte ab Antragstellung ca. 5 bis 7 Monate. Erst wenn der Versorgungsausgleich selbst auch entscheidungsreif ist, wird das Familiengericht die Scheidung aussprechen und zugleich auch den Versorgungsausgleich durchführen.
Das bedeutet, dass in dieser Konstellation zwei bis drei Monate vor Ablauf des Trennungsjahres Antrag auf Ehescheidung gestellt werden kann.
Eine Ausnahme besteht für kurze Ehen (zwischen der Eheschließung und der Zustellung des Antrags auf Ehescheidung liegen weniger als drei Jahre), in denen der Versorgungsausgleich nur auf Antrag eines der Ehegatten durchgeführt wird.
Abweichungen können sich ferner ergeben, wenn durch einen notariellen Ehevertrag die Durchführung des Versorgungsausgleichs ausgeschlossen wurde. Wenn hiergegen keine Wirksamkeits- und Durchsetzungshindernisse bestehen, dann ist das Familiengericht an diese Vereinbarung gebunden.
Wenn ein Versorgungsausgleich aus vorgenannten Gründen vom Familiengericht nicht durchzuführen ist und auch sonst keine weiteren Folgesachen durchzuführen sind, dann kann davon ausgegangen werden, dass eine Scheidung durch das Familiengericht ca. sechs bis acht Wochen nach Einreichung des Scheidungsantrags ausgesprochen wird. In dieser Konstellation könnte ein Scheidungsantrag ca. 11 Monate nach der Trennung gestellt werden.
Auf Antrag hat das Gericht über die Folgesachen Zugewinnausgleich, nachehelicher Unterhalt, Kindesunterhalt, Ehewohnung, Hausrat, elterliche Sorge und Umgang zu entscheiden. Wichtig ist hierbei zu wissen, dass eine entsprechende Verbundentscheidung erst vom Familiengericht ergehen kann, wenn alle vor dem Gericht anhängigen Folgesachen entscheidungsreif sind. Es ergeht dann eine sog. Verbundentscheidung, die ab Rechtskraft der Scheidung wirkt. M.E. macht es wenig Sinn, eine Entscheidung zur elterlichen Sorge, zum Umgang oder zum Kindesunterhalt im Zuge eines Verbundverfahrens herbeizuführen. Wenn es hier zu Streitigkeiten kommt sind hierzu Regelungen ab bzw. nach der Trennung notwendig, die notwendigerweise auch zeitnah herbeigeführt werden sollen, also unabhängig vom Scheidungsverfahren. Hier empfiehlt es sich also immer, isolierte Verfahren zu betreiben.
Werden also im Verbundverfahren weitere Angelegenheiten (Zugewinnausgleich, nachehelicher Unterhalt, etc..) verfolgt, dann hat dies auch Auswirkungen auf die Dauer eines Scheidungsverfahrens. Rechtstechnisch reden wir dann hierbei auch von einer streitigen Scheidung. Mit einer Verfahrensdauer von zwei Jahren und mehr ist dann im Regelfall zu rechnen.
Lässt sich ein Scheidungsverfahren beschleunigen?
Grundsätzlich ja. Wenn das Gericht den Versorgungsausgleich durchzuführen hat dann empfiehlt es sich bei bestehenden Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits im Vorfeld, d.h. vor Einreichung des Scheidungsantrags, den Versicherungsverlauf klären zu lassen. Oftmals bestehen Lücken im Versicherungsverlauf, die von der gesetzlichen Rentenversicherung dann im Scheidungsverfahren geklärt werden, was zur Verzögerungen, in manchen Fällen um viele Monate, bei der Auskunftserteilung führt.
Erfolgt die Ehescheidung einvernehmlich, dann ist es auch sinnvoll, wenn mit Einreichung des Scheidungsantrags zugleich auch der von beiden Eheleuten ausgefüllte Fragebogen zum Versorgungsausgleich mit bei Gericht eingereicht wird. Das Gericht kann in diesem Fall dann direkt die Rentenversicherungsträger um Auskunft über die Rentenanwartschaften der Eheleute bitten, ohne dass durch Übersendung der Fragebögen vom Gericht an die Beteiligten weitere Zeit ( ca. drei bis vier Wochen) ungenutzt verstreicht.
Bei Einreichung eines Scheidungsantrags sind Gerichtsgebühren einzubezahlen, deren Höhe sich nach dem Gegenstandswert bemisst. Wird kein Gegenstandswert angegeben, dann wird ein solcher anhand der zwingend im Scheidungsantrag zu tätigen Angaben vom Gericht errechnet und dem Antragsteller/der Antragstellerin über die Landesjustizkasse in Rechnung gestellt. Erst wenn dieser Betrag dann an die Landesjustizkasse überwiesen wurde, wird der Scheidungsantrag dem anderen Ehegatten zugestellt.
Deutlich schneller (Ersparnis ca. 1 Monat) erfolgt die Zustellung des Scheidungsantrags wenn der Gegenstandswert vom Anwalt errechnet wird und der Landesjustizkasse eine Gebühreneinzugsermächtigung im Antrag für ein Kanzleikonto erteilt wird. Nachdem die Gerichte davon ausgehen, dass anwaltliche Konten gedeckt sind, erfolgt dann die Zustellung des Scheidungsantrags unmittelbar. Erforderlich ist hierzu allerdings, dass im Vorfeld der Gerichtskostenvorschuss auf das Anwaltskonto überweisen wird. Nachdem es sich hierbei aus anwaltlicher Sicht um Fremdgeld handelt, erfolgt hierüber durch den Anwalt keine Rechnungstellung.
Sollen weitere Folgesachen im Scheidungsverbund (z.B. nachehelicher Unterhalt und/oder Zugewinn) geklärt werden, ist, wenn die außergerichtlichen Verhandlungen hierüber scheitern, durchweg mit längeren Verfahrensdauern zu rechnen
15.10.20
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mittels U.N.RW.A. – Bescheinigung
Grundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für palästinensische Staatsangehörige aus Syrien ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.12.2012, Az: C 364/11.
Art. 12 Abs. 1 Buchstabe a) Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 enthält eine Mindestnorm für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge.
Zudem regelt diese Norm den internationalen Schutz für andere Personen.
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs muss diese Norm auch auf jene Personen angewendet werden, die den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Institution für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (U.N.R.W.A) tatsächlich in Anspruch genommen haben und sich nunmehr, aus Gründen die diese Personen nicht kontrollieren können und die nicht auf ihrem Willen beruhen, nicht mehr berufen können.
Ausgenommen hiervon ist aber der Schutz durch des hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (HCR).
Ob Sie gezwungen waren das Einsatzgebiet dieser Organisation oder dieser Institution zu verlassen, muss durch die zuständigen nationalen Behörden bei der Prüfung des von Ihnen gestellten Asylantrags beurteilt werden.
Grundlage dieser Beurteilung ist die individuelle Bewertung des Antrags – zu bejahen ist die Voraussetzung, wenn Sie sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befanden und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich war, Ihnen in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder dieser Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stehen.
Sollten Sie also über eine Bestätigung der zuständigen Behörde des zuständigen Mitgliedsstaates, dass Sie Mitglied der U.N.R.W.A waren und der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten nicht länger gewährt wird, verfügen, kann Ihnen diese für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hilfreich sein.
Mit dieser Bestätigung genießen Sie den Schutz der Richtlinie.
Wir helfen Ihnen gerne Ihre Rechte einzufordern.
19.10.2020
Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes führt zur Mithaftung - Bemessung des Schmerzensgeldes
OLG München im Urteil vom 25.10.2019, Az.: 10 U 3171/18
Die Annahme einer Mithaftungsquote kann nur in den Fällen angenommen werden, wenn bewiesen ist, dass die erlittenen Verletzungen in Verbindung mit dem Unfallhergang bei angelegtem Gurt verhindert worden wären oder weniger schwerwiegend gewesen wären.
Zur Erlangung dieser Feststellung kann ein medizinisches Gutachten eingeholt oder auf die Regeln des Anscheinsbeweis zurückgegriffen werden.
Wichtig ist hierbei, dass eine medizinische Begutachtung erfolgt, weshalb ein unfallanalytisches und verletzungsmechanisches Gutachten nicht ausreichend ist.
Erleidet der Geschädigte mehrere Verletzungen wird eine einheitliche Mithaftungsquote festgelegt. Somit erhält der Geschädigte nicht nur einen Schadensersatz bei Verletzungen, die er auch bei angelegtem Gurt erlitten hätte.
Ferner hat das OLG München im Urteil vom 25.10.2019, Az.: 10 U 3171/18 entschieden, dass der Geschädigte, aufgrund der Schadensvermeidungspflicht, verpflichtet ist die beeinträchtigte Haushaltsführung umzuorganisieren oder durch den Einsatz technischer Hilfsmittel zu kompensieren. Dies ist ihm bei einer Beeinträchtigung bis zu 10 % zumutbar. Hierbei wird berücksichtigt, dass die Umorganisation lediglich bezüglich des Umfangs der Arbeitsleistung zu erfolgen hat, die zuvor praktiziert wurde. Diese Regelung ist mit 3 287 Abs.1 ZPO vereinbar.
Bezüglich des aus dem Unfall folgenden Erwerbsschadens muss sich der Geschädigte die berufsbedingt ersparten Aufwendungen anrechnen lassen. Hierunter fallen Fahrtkosten, Verpflegungsmehrkosten, Kosten der Reinigung der Arbeitskleidung, Fortbildungskosten usw..
Abgezogen wird dabei ein Pauschalbetrag von 5-10 % des Nettoeinkommens, da ansonsten eine aufwändige Beweisaufnahme hinsichtlich der Kleinstposition erforderlich werden würde.
Das Schmerzensgeld kann der Geschädigte durch eine Teil-Klage geltend machen. Dies stellt zwar eine Durchbrechung des Grundsatzes von der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes dar, bietet dem Geschädigten jedoch die Möglichkeit noch nicht überschaubare und abgeschlossene Schadensentwicklungen weiterhin geltend machen zu können.
Grundlage dieser Ausnahme ist, dass ein rechtlich einheitlicher Anspruch teilbar ist, solange er eindeutig individualisierbar und quantitativ abgrenzbar ist.
14.10.2020
Anspruch auf Feststellung von Abschiebeverbote für männliche afghanische Flüchtlinge.
(VG Arnsberg, Urteil vom 02.07.2020 - 6 K 2576/17.A)
60 Abs. 5 AufenthG bietet die Möglichkeit die Abschiebung eines Ausländers zu verhindern.
Voraussetzung hierfür ist, dass die Abschiebung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist.
Dies ist gem. Art. 3 EMRK vor allem dann der Fall, wenn ausreichend Anhaltspunkte dafür gegeben sind anzunehmen, dass der Asylsuchende durch die Abschiebung der empfindlichen Gefahr der Folter, der Todesstrafe oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre.
Hierüber können sogar in besonders gelagerten Fällen allgemein schlechte humanitäre Verhältnisse fallen. Zwingend hierfür ist jedoch ein hoher Gefährdungsgrad, Vgl. hierzu: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 21. November 2014 - 13a B 14.30284 -, juris, Rn. 16 ff., zuletzt bestätigt durch Beschluss vom 11. Januar 2017 - 13a ZB 16.30878 -, juris, unter Verweis auf Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris.
Dies trifft derzeit auf Afghanistan zu. Unabhängig von der Coronakrise ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt und ist auf Platz 168 von 189 des Human Development Index.
Während den Jahren 2011-2016 hat sich die Armutsrate von 38% auf 55% verschlechtert. Daneben steigt die Zahl der Bevölkerung. Dies erschwert es dem afghanischen Staat die Grundbedürfnisse zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass die Zahl der Zugänge zum Arbeitsmarkt steigt. Durch die schwache Investitionstätigkeit, die Unzuverlässigkeit des staatlichen Verwaltungsapparates und die schwierige Sicherheitslage sind diese Probleme kaum mehr händelbar - vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Grundversorgung, vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand Juli 2019, S. 27 f.
In jüngster Vergangenheit kam zu den grundlegenden Problemen die Krise aufgrund COVID-19. Dies führten zu einer wesentlichen Verschlechterung der Lage von Afghanistan.
Die umfangreichen Beschränkungen wurden am 02.05.2020 nochmals verlängert. Durch die zu ergreifenden Maßnahmen stieg die Arbeitslosigkeit drastisch an - fast 2 Millionen Menschen wurden durch die Pandemie arbeitslos. Neben den inländisch arbeitslos gewordenen Bürgern kommen die afghanischen Staatsangehörigen die, die z.B. im Iran arbeiteten und ebenfalls arbeitslos geworden sind und teilweise zurückkehren mussten, vgl. Bundesamt, Briefing Notes vom 27. April 2020 und 29. Juni 2020; United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA), Afghanistan: Covid-19 Multi-Sectoral Response, 3. Juni 2020. Vgl. VG Cottbus, Urteil vom 29. Mai 2020 - 3 K 633/20.A -, Rn. 48, juris, mit weiteren Nachweisen.
Die Arbeitslosen und die Rückkehrer drängen nun gemeinsam auf den Arbeitsmarkt. Vgl. UNHCR, "COVID-19: Mehr Unterstützung für Afghanistan und seine Nachbarländer benötigt", https://www.unhcr.org/dach/de/42159-covid-19-mehrunterstuetzungfuerafghanistanundseinenachbarlaenderbenoetigt.html.
Zudem droht den Rückkehrern eine Stigmatisierung - sie werden für die Gefahr durch COVID-19 verantwortlich gemacht. Eine Unterstützung können die Rückkehrer nicht erwarten, da z.B die Nichtregierungsorganisation ACE seit 28.03.2020 geschlossen ist. Vgl. Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankungen an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener, 27. März 2020, S. 2, 3.
Hinzukommen der Anstieg der Lebenshaltungskosten und das Problem des mangelnden Wohnraums. Letzteres wird aufgrund des Gebotes des „Social-distancing“ erheblich verschlimmert. Vgl. Tagesschau: "Coronavirus in Afghanistan: Mit dem Virus droht der Hunger", 3. Mai 2020, http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistancoronavirus-101.html; WFP, Vulnerability Analysis and Mapping - Afghanistan, 27. Mai 2020; UNOCHA, Afghanistan: Covid-19 Multi-Sectoral Response, 3. Juni 2020. Vgl. Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankungen an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener, 27. März 2020, S. 3.
Zusammengefasst kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit vollumfänglicher Aufhebung der Beschränkungen eine kurzfristige Erholung der Wirtschaft und der Lebensbedingungen einhergeht. Vgl. hierzu und zum Ganzen VG Karlsruhe, Urteil vom 15. Mai 2020- A 19 K 16467/17 -, juris; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom5. Mai 2020 - 21 K 19075/17.A -, juris; VG Cottbus, Urteil vom 29. Mai 2020 - 3 K 633/20.A -, juris; jeweils mit weiteren Nachweisen.
05.10.2020
Illegale Autorennen – Strafbarkeit seit 2017
Seit Mitte des Jahres 2017 werden Straßenrennen nunmehr als Straftat gem. § 315d StGB geahndet. Anstoß zur Einführung des Straftatbestandes waren illegale Autorennen in der „Raser-Szene“. Vor der Einführung des Straftatbestandes wurden diese Rennen lediglich als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Jetzt droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Wird bei dem Wettbewerb Leib und Leben eines anderen Menschen oder eine Sache von bedeutendem Wert gefährdet, erhöht sich die Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Verursachen die Handelnden dabei den Tod eines Menschen oder die schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder die Gesundheitsschädigung einer Großzahl von Menschen, verdoppelt sich das Höchstmaß der Strafe auf bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.
Zu beachten ist dabei, dass bei dem Versterben eines Menschen als Folge des Straßenrennens eine Verurteilung wegen Mordes möglich ist. Dies Möglichkeit basiert auf der neusten Rechtsprechung bezüglich der Raserfälle in Berlin. Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass der Unfallverursacher den Unfallhergang als möglichen Geschehensablauf erkennt und die Gefahr für sich selbst als gering einschätzt, dabei jedoch die Gefahr des Todes für andere hinnimmt.
Zwei Besonderheiten sind bei dem neuen Straftatbestand zu beachten:
1. Ein Rennen gegen sich selbst ist ebenfalls strafbar.
Dabei kommt es darauf an, ob der Fahrer die Absicht hat die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und an die Grenzen des technisch Möglichen zu kommen.
2. Auch spontane Rennen fallen unter den Tatbestand.
Es ist somit nicht erforderlich, dass man sich im Vorhinein zu einem Rennen verabredet hat. Jedes schlüssiges Verhalten, welches auf die Bereitschaft zu einem solchen Rennen erkennen lässt, ist dabei ausreichend.
Maximilian Richter
Fachanwalt für Strafrecht
27.04.2020
Rechtsanwalt Christoph Kleinherne im Interview mit der WELT
Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht Christoph Kleinherne im Gespräch mit der WELT zum Thema "Die Rechte der Patienten, wenn es um Leben und Tod geht"
https://www.kanzlei-dollinger.de/wp-content/uploads/2020/04/Interview-mit-der-WELT_23.04.2020.pdf
24.04.2020
Strafverfahren vor dem Landgericht München I beginnt - Rechtsanwalt Maximilian Richter übernimmt Verteidigung“
Die Süddeutsche Zeitung berichtet über den ersten Hauptverhandlungstag:
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-prozess-vergewaltigung-1.4885907
23.04.2020
Interview mit Rechtsanwalt Kleinherne zur Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
"Warum die Vollmacht gerade jetzt so wichtig ist Man schiebt es gerne auf die lange Bank: für den Fall von Unfall oder Krankheit vorzusorgen. In Zeiten von Corona ist eine Vollmacht aber besonders wichtig. Rechtsanwalt Christoph Kleinherne erklärt, warum."
https://www.senioren-ratgeber.de/Coronavirus/Warum-die-Vollmacht-gerade-jetzt-so-wichtig-ist--558075.html
16.04.2020
Das bloße Anbieten von Betäubungsmittel an Minderjährige stellt noch kein unmittelbares Ansetzen zur gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln dar
BGH, Beschluss vom 24.10 2009 - 1 STR 441/19.
Sachverhalt:
Der Angeklagte war ursprünglich durch das Landgericht München II wegen u.a. wegen unerlaubter gewerbsmässiger Abgabe von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Er soll in den Sommermonaten das Jahres 2018 Handel mit Marihuana betrieben haben. Das Rauschgift verkauft er insbesondere an Jugendliche, um sich eine Einnahmequelle von gewisser Dauer und einem gewissen Umfang zu verschaffen. Im Einzelnen soll er sogar mehrmals am gleichen Tag, dem 14-jährigen Zeugen ernsthaft unverbindlich angeboten haben, mindestens eine Konsumeinheit Marihuana für 10 € zu kaufen. Der Zeuge lehnte den Ankauf jedoch stets ab.
Die gegen das Urteil gerichtete mit der allgemeinen Sachrüge geführten Revision des Angeklagten hatte nur zum Teil Erfolg. Da der Zeuge den Ankauf des Rauschgiftes jeweils nachdrücklich abgelehnt hat, hat der Angeklagte noch nicht unmittelbar zur Abgabe des Betäubungsmittels angesetzt. Abgabe im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr 1, § 30 Abs. 1 Nr 2 BtMG setz eine Übertragung der eigenen tatsächlichen Verfügungsmacht an den Betäubungsmitteln auf einen Minderjährigen zu dessen freier Verfügung voraus (BGH, Beschluss vom 5.2 2013 - 1 STR 693/13). Das Tatbestandsmerkmal der Abgabe knüpft demnach - im Unterschied zum weiter gefassten Begriff des Handeltreibens im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG - an die tatsächliche Verschaffung der Verfügungsmacht an. Daher stellt das bloße Anbieten von Betäubungsmitteln an Minderjährige noch kein unmittelbares Ansetzen zur gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln da. Jedoch stellt es ein Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dar. Das Anbieten von Betäubungsmitteln ist bereits ein Teilakt des (vollendeten) Handeltreibens. Im vorgenannten Sachverhalt ist zudem von einer einheitlichen Tat im Sinne einer Bewertungseinheit auszugehen. Denn das Anbieten erfolgte manchmal mehrmals zu unterschiedlichen Zeitpunkten sogar an einem Tag am selben Ort, ohne dass ein Verkauf tatsächlich stattgefunden hat. Das Verkaufsangebot bezog sich jeweils auf eine Konsumeinheit des Rauschgiftes als solche, ohne dass eine Konkretisierung erfolgt war. Die Identität der angesprochenen Person, des jeweils angebotenen Betäubungsmittel und des gesamten situativen Zusammenhangs verbinden hier die einzelnen Angebote zu einer Bewertungseinheit.
07.04.2020
Schätzungen durch Polizeibeamte bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß nicht ausreichend
Sachverhalt: der Betroffene bestreitet, am Tag einen qualifizierten Rotlichtverstoß ( mit mehr als einer Sekunde Dauer) begangen zu haben. Als Beweismittel stand lediglich ein Polizeibeamter zur Verfügung, der die Dauer der Rotlichtzeit geschätzt hat. Trotz Vorhandensein einer Haltelinie hat der Polizeibeamte bei seiner Schilderung auf das Passieren der Ampel durch den Betroffenen abgestellt.
Die Feststellung belegen daher lediglich einen einfachen Rotlichtverstoß. Zunächst dürfte regelmäßig eine Haltelinie bei passieren vorhanden sein. Soweit diese vorhanden ist, ist bei der Bemessung der Rotlicht diese maßgebend (vgl. OLG Köln NZV 2004, 651). Ein Abstellen auf das Passieren der Ampel wäre demgegenüber rechtsfehlerhaft. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung müssen die Amtsgerichte in den Urteilsgründen die von den Zeugen angewandte Messmethode darstellen und sie hinsichtlich ihrer Beweiskraft werten, gegebenenfalls auch mit einer kritischen Wertung Abschläge vornehmen (vgl.OLG Hamm Beschluss vom 18.07 2009). Etwas anderes gilt nur bei einer gezielten Rotlichtüberwachung, bei der der Tatrichter seine Überzeugung aufgrund von Angaben eines den Tathergang beobachteten Polizeibeamten, der die Dauer der Rotlichtphase lediglich schätzt, gewinnen kann. Hierbei kann schon das einfache mitzählen für die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoß getroffen werden (OLG Brandenburg DAR 1999, 512.)
Regelmäßig ist die konkrete Messmethode zu hinterfragen. Freie Schätzungen aufgrund gefühlsmäßig Erfassung sind generell ungeeignet. Es bedarf vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Überprüfung der Schätzung auf ihre Zuverlässigkeit zulassen, wie beispielsweise der Zählweise beim mitzählen, der Geschwindigkeit des Betroffenen, seine Entfernung von der Haltelinie bei Lichtwechsel auf Rot.
01.04.2020
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung – akuter Handlungsbedarf wegen Corona?
Gerade wegen der derzeitigen Corona-Pandemie erreichen mich und auch meine geschätzten Kollegen vermehrt Anfragen zum Thema „Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung“.
Brauche ich so etwas? Worüber genau kann ich verfügen? Was muss ich beachten und wer darf meinen Willen letztlich wie durchsetzen?
Mit diesem Beitrag kann und will ich nicht alle aufkommenden Fragen beantworten. Ich will auch nicht damit „werben“, dass unbedingt anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss, denn das ist tatsächlich weder vorgeschrieben noch in jedem Fall erforderlich. So sind beispielsweise über die Homepage des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz entsprechende Textbausteine frei abrufbar.
Es ist auch nicht meine Absicht, Panik zu verbreiten, denn selbstverständlich kann es gerade bei einer Covid-19 Erkrankung möglich sein, dass der betroffene Patient bei einer Krankenhausaufnahme seine Behandlungswünsche und den Ablauf noch äußern und mitbestimmen kann, so dass der Rückgriff auf eine Patientenverfügung gar nicht erforderlich wird. Jedenfalls aber ist in der jetzigen Situation dringend zu überlegen und zu hinterfragen, ob es nicht ratsam wäre, für den Fall einer Erkrankung an Covid-19 explizite Ausnahmen in der – ggf. schon bestehenden - Patientenverfügung zu treffen, die Patientenverfügung mindestens aber zu prüfen und zu konkretisieren:
Wir alle wissen nämlich noch zu wenig über diese Erkrankung und die möglichen Folgen und Spätschäden. Es scheint momentan aber jedenfalls so zu sein, dass zumindest keine dauerhafte intensivmedizinische Behandlung (in der Regel durch Beatmung) erforderlich ist. Im schlimmsten und hoffentlich nicht eintretenden Fall steht aber eine solche Behandlung bereits aus Kapazitätsgründen nicht mehr allen erkrankten Patienten zur Verfügung. Die Ärzte müssen dann im Vorfeld eine Entscheidung („Triage“) darüber treffen, welche Patienten nicht (weiter) behandelt werden können.
In diesem Zusammenhang wurde jüngst von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) ein Kriterienkatalog veröffentlicht, an dem sich Ärztinnen und Ärzte orientieren können, wenn während der Covid-19-Pandemie die Ressourcen in Notaufnahmen und Intensivstationen nicht mehr ausreichen und sie unter Schwerkranken eine Auswahl treffen müssen. Dort heißt es unter anderem, dass Patienten, die eine Intensivtherapie ablehnen, nicht intensivmedizinisch behandelt werden. Ob eine Intensivtherapie abgelehnt wird, soll dabei auf der Grundlage des aktuell geäußerten oder (wenn eine Äußerung nicht mehr möglich ist) des erklärten (z.B. in einer Patientenverfügung!) oder des früher mündlich geäußerten und mutmaßlichen Willens erfolgen. Bereits hierdurch wird deutlich, dass einer Patientenverfügung sehr viel Gewicht zukommt und zu beachten ist, dass bspw. die Ablehnung intensivmedizinischer Behandlungen gerade auch in der jetzigen Zeit an konkrete Bedingungen geknüpft werden muss.
Was genau ist nun aber unter eine Patientenverfügung zu verstehen beziehungsweise was passiert, wenn Sie eine solche nicht erstellen?
Mit der im Gesetz unter § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB genannten „qualifizierten Patientenverfügung“ können Sie einen „konkreten Behandlungswunsch“ äußern und damit eine eigene Entscheidung treffen. Liegt eine solche konkrete und im Übrigen wirksame Verfügung vor, muss diese eigene Entscheidung des später nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten ohne „Wenn und Aber“ umgesetzt werden. Der Vorsorgebevollmächtigte oder Betreuer, also meist ein naher Angehöriger, muss dann „lediglich“ noch prüfen, ob eine Lebens- und Behandlungssituation vorliegt, für die die qualifizierte Patientenverfügung zuvor erstellt worden ist.
Diese auf den ersten Blick für den Bevollmächtigten hart anmutende Prüfung ist damit aber gleichzeitig eine Erleichterung, denn dieser muss keine eigene Entscheidung mehr darüber treffen, welche ärztlichen Maßnahmen getroffen oder unterlassen werden sollen.
Vor genau dieser schwerwiegenden Entscheidung steht der Bevollmächtigte aber in den Fällen, in denen entweder gar keine oder aber eine zwar gut gemeinte aber zu unkonkret gefasste oder aus sonstigen Gründen unwirksame schriftliche Patientenverfügung vorliegt:
Gemäß § 1901a Abs. 2 S. 1 Alt. 1 und Alt. 2 BGB muss der Bevollmächtigte dann nämlich die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten selber feststellen und auf dieser Grundlage selbst entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist dabei aufgrund „konkreter Anhaltspunkte“ zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind also höchstens noch frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.
Die damit einhergehenden Probleme liegen auf der Hand und die bei dem Bevollmächtigen (also in der Regel einem nahen Angehörigen) entstehenden Zweifel und Gewissenskonflikte werden diesen vermutlich lange begleiten.
Nehmen Sie sich also die Zeit, kaufen Sie weniger Toilettenpapier und sprechen Sie dafür lieber miteinander (mutmaßlicher Wille) oder erstellen Sie bestenfalls eine qualifizierte Patientenverfügung. Dies nicht nur, um eine eigene Entscheidung zu treffen sondern auch und ganz besonders, um Ihren Angehörigen eine sonst schwerwiegende Entscheidung abzunehmen.
29.11.2019
Arzthaftung: Umkehr der Beweislast bei einem Befunderhebungsfehler
Arzthaftungsprozesse werden nach der jeweils geltenden Beweislast entschieden. Der Patient steht dabei vor der Herausforderung, nicht nur einen Fehler des Arztes beweisen zu müssen - es muss darüber hinaus, wenn nicht ein „grober Behandlungsfehler“ festgestellt werden kann, auch feststehen, dass sich dieser Fehler tatsächlich auch ausgewirkt hat, also für die eingetretenen Gesundheitsschäden „ursächlich“ gewesen ist. Etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers gehen dann voll zu Lasten des Patienten und führen in einer Vielzahl von Fällen zur Klageabweisung vor Gericht.
Anders sieht die Sache aus, wenn ein so genannter Befunderhebungsfehler im Raume steht. Ein solcher wird bejaht, wenn es nach der jeweiligen Sachlage „medizinisch zweifelsfrei geboten“ gewesen wäre, weitere Befunde einzuholen (also weitere Abklärungen zu veranlassen). Unterlässt es der Arzt, solche medizinisch gebotenen Befunde einzuholen, ist ihm ein Befunderhebungsfehler anzulasten.
Dieser Fehler wirkt sich dann, für den Patienten günstig, auf die Frage der „Ursächlichkeit“ aus:
War es überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, dass der Arzt die gebotenen Befunde nicht erhoben hat, kann ein „grober Befunderhebungsfehler“ bejaht werden. War dieser grobe Befunderhebungsfehler zur Verursachung des Gesundheitsschadens auch nur generell geeignet, ist es Sache des Arztes, zu beweisen, dass es gänzlich unwahrscheinlich ist, dass sich dieser Fehler ausgewirkt hat. Dieser Beweis ist in der Regel vom Arzt kaum zu führen.
Aber auch ein „einfacher Befunderhebungsfehler“ kann sich beweisrechtlich zum Vorteil des Patienten auswirken. Wenn sich nämlich bei der gebotenen Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (dazu reicht in der Regel schon eine nur 50 %ige Wahrscheinlichkeit aus) ein reaktionspflichtiger Befund gezeigt hätte, dessen Verkennung oder die Nichtreaktion hierauf nicht mehr nachvollziehbar wären, dann ist ebenfalls der Arzt in der Beweispflicht.
In der Praxis sollte und wird daher jeder Patientenanwalt den Fokus möglichst auf etwaige Befunderhebungsfehler richten. Kann ein solcher bejaht werden, steigen die Erfolgsaussichten mehr als deutlich.
29.11.2019
Sturz im Krankenhaus/Pflegeheim: Berücksichtigung bestehender Vorschäden und Gebrechen
Haftungsrechtlich relevant ist vor allem der Sturz eines Patienten beziehungsweise Bewohners im Zusammenhang mit einer „konkret geschuldeten Hilfeleistung“ ().
Weil der Aufenthalt des gestürzten Patienten/Bewohners aufgrund bereits vorbestehender Gebrechen erforderlich war, wird seitens des Haftpflichtversicherers teilweise eingewandt, dass die Verletzungsfolgen nicht auf den Sturz sondern auf die bereits vorbestehenden Gebrechen zurückzuführen seien.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (u.a. Urteil vom 19.04.2005, VI ZR 175/04) steht aber eine Mitursächlichkeit, sei es auch nur als Auslöser neben erheblichen anderen Umständen, der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich. Der Schädiger kann sich nach ständiger Rechtsprechung auch nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge bereits vorhandener Beeinträchtigungen und Vorschäden besonders anfällig zur erneuten Beeinträchtigung gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre. Dementsprechend ist die volle Haftung auch dann zu bejahen, wenn der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und den Unfallverletzungen beruht, ohne dass die Vorschäden "richtunggebend" verstärkt werden.
Es genügt also grundsätzlich eine „Mitursächlichkeit“ des Sturzes für die eingetretenen Schäden. Der gesamte Schaden wird dann dem Krankenhausträger zugerechnet. Eine Ausnahme besteht nur in den Fällen, in denen der Schädiger beweisen kann, dass durch den Sturz tatsächlich nur ein abgrenzbarer Teil des Schadens entstanden ist. Dieser Beweis ist aber regelmäßig kaum zu führen.
29.11.2019
Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen „Arglist“
Bevor es insbesondere im Bereich der Personenversicherungen zu einem Vertragsschluss zwischen dem Versicherer und dem interessierten Kunden kommt, werden diesem Fragen zu seinem Gesundheitszustand gestellt – der Versicherer möchte schließlich wissen, ob er einem gesunden oder einem gesundheitlich bereits vorbelasteten Kunden Versicherungsschutz anbieten soll.
Bei der Beantwortung der „Gesundheitsfragen“ ist dabei größte Sorgfalt geboten. Beantwortet der Versicherungsnehmer die Fragen falsch, stehen dem Versicherer erhebliche Gestaltungsrechte zu:
Er kann den Vertrag anpassen, kündigen oder von diesem zurücktreten, je nachdem ob die gefahrerheblichen Fragen fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich falsch beantwortet wurden und die weiteren im Gesetz verankerten Voraussetzungen erfüllt sind. An eine dieser Voraussetzungen, nämlich die wirksame Belehrung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung gemäß § 19 Abs. 5 VVG, sind strenge Anforderungen geknüpft. Eine solche wirksame Belehrung, die dem interessierten Kunden gerade die Bedeutung der Gesundheitsfragen vor Augen halten soll, ist nach der Rechtsprechung aber dann nicht erforderlich, wenn dem Versicherungsnehmer sogar eine „arglistige“ Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen zum Vorwurf gemacht werden kann – in diesem Falle kann der Versicherer, ohne dass es auf die Frage einer Belehrung ankäme, den Vertrag „anfechten“.
Der Bundesgerichtshof hat dies in einer Entscheidung vom 12.03.2014, IV ZR 306/13, damit begründet, dass der arglistig handelnde Versicherungsnehmer insoweit nicht schutzbedürftig ist, denn die von § 19 Abs. 5 VVG bezweckte Information des Versicherungsnehmers über die Folgen seines Verstoßes gegen die Anzeigepflichten verfehlt für den arglistig handelnden Versicherungsnehmer ihr Ziel, weil dieser selbst weiß, dass er vertragswidrig Falschangaben macht, um den Versicherer zum Abschluss eines Vertrages zu veranlassen, den dieser bei wahrheitsgemäßer Unterrichtung in dieser Form nicht geschlossen hätte.
Weil die Grenze zwischen „vorsätzlicher“ und „arglistiger“ Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen eng ist, sprechen die Versicherer deshalb neben einem nur hilfsweise erklärten Rücktritt vom Versicherungsvertrag häufig die Anfechtung des Vertrages aus, gerade weil es in diesen Fällen auf eine wirksame Belehrung im Zusammenhang mit der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht ankommt.
Im Rechtsstreit ist dann die Frage zu klären, ob arglistiges Handeln zu bejahen ist:
Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass dieser sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags beeinflusst werden kann.
Der Begriff der Arglist erfasst dabei nicht nur ein von betrügerischer Absicht getragenes Handeln, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens“ reduziert sind. Voraussetzung ist aber immer, dass dem Versicherungsnehmer bei der Beantwortung der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder nach früheren Behandlungen überhaupt bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Antrags überhaupt zu beeinflussen.
Weil aber selbst eine bewusst unrichtige Beantwortung von Gesundheitsfragen nicht immer nur in der Absicht geschehen wird, den Willen des Versicherers entsprechend zu beeinflussen, muss der Versicherer nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde.
Hier ist also immer im Einzelfall zu prüfen und darzulegen, was sich der Versicherungsnehmer bei Abgabe einer objektiv falsch beantworteten Gesundheitsfrage gedacht hat.
27.04.2020
Rechtsanwalt Christoph Kleinherne im Interview mit der WELT
Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht Christoph Kleinherne im Gespräch mit der WELT zum Thema "Die Rechte der Patienten, wenn es um Leben und Tod geht"
https://www.kanzlei-dollinger.de/wp-content/uploads/2020/04/Interview-mit-der-WELT_23.04.2020.pdf
24.04.2020
Strafverfahren vor dem Landgericht München I beginnt - Rechtsanwalt Maximilian Richter übernimmt Verteidigung“
Die Süddeutsche Zeitung berichtet über den ersten Hauptverhandlungstag:
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-prozess-vergewaltigung-1.4885907
23.04.2020
Interview mit Rechtsanwalt Kleinherne zur Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
"Warum die Vollmacht gerade jetzt so wichtig ist Man schiebt es gerne auf die lange Bank: für den Fall von Unfall oder Krankheit vorzusorgen. In Zeiten von Corona ist eine Vollmacht aber besonders wichtig. Rechtsanwalt Christoph Kleinherne erklärt, warum."
https://www.senioren-ratgeber.de/Coronavirus/Warum-die-Vollmacht-gerade-jetzt-so-wichtig-ist--558075.html
16.04.2020
Das bloße Anbieten von Betäubungsmittel an Minderjährige stellt noch kein unmittelbares Ansetzen zur gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln dar
BGH, Beschluss vom 24.10 2009 - 1 STR 441/19.
Sachverhalt:
Der Angeklagte war ursprünglich durch das Landgericht München II wegen u.a. wegen unerlaubter gewerbsmässiger Abgabe von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Er soll in den Sommermonaten das Jahres 2018 Handel mit Marihuana betrieben haben. Das Rauschgift verkauft er insbesondere an Jugendliche, um sich eine Einnahmequelle von gewisser Dauer und einem gewissen Umfang zu verschaffen. Im Einzelnen soll er sogar mehrmals am gleichen Tag, dem 14-jährigen Zeugen ernsthaft unverbindlich angeboten haben, mindestens eine Konsumeinheit Marihuana für 10 € zu kaufen. Der Zeuge lehnte den Ankauf jedoch stets ab.
Die gegen das Urteil gerichtete mit der allgemeinen Sachrüge geführten Revision des Angeklagten hatte nur zum Teil Erfolg. Da der Zeuge den Ankauf des Rauschgiftes jeweils nachdrücklich abgelehnt hat, hat der Angeklagte noch nicht unmittelbar zur Abgabe des Betäubungsmittels angesetzt. Abgabe im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr 1, § 30 Abs. 1 Nr 2 BtMG setz eine Übertragung der eigenen tatsächlichen Verfügungsmacht an den Betäubungsmitteln auf einen Minderjährigen zu dessen freier Verfügung voraus (BGH, Beschluss vom 5.2 2013 - 1 STR 693/13). Das Tatbestandsmerkmal der Abgabe knüpft demnach - im Unterschied zum weiter gefassten Begriff des Handeltreibens im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG - an die tatsächliche Verschaffung der Verfügungsmacht an. Daher stellt das bloße Anbieten von Betäubungsmitteln an Minderjährige noch kein unmittelbares Ansetzen zur gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln da. Jedoch stellt es ein Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dar. Das Anbieten von Betäubungsmitteln ist bereits ein Teilakt des (vollendeten) Handeltreibens. Im vorgenannten Sachverhalt ist zudem von einer einheitlichen Tat im Sinne einer Bewertungseinheit auszugehen. Denn das Anbieten erfolgte manchmal mehrmals zu unterschiedlichen Zeitpunkten sogar an einem Tag am selben Ort, ohne dass ein Verkauf tatsächlich stattgefunden hat. Das Verkaufsangebot bezog sich jeweils auf eine Konsumeinheit des Rauschgiftes als solche, ohne dass eine Konkretisierung erfolgt war. Die Identität der angesprochenen Person, des jeweils angebotenen Betäubungsmittel und des gesamten situativen Zusammenhangs verbinden hier die einzelnen Angebote zu einer Bewertungseinheit.
07.04.2020
Schätzungen durch Polizeibeamte bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß nicht ausreichend
Sachverhalt: der Betroffene bestreitet, am Tag einen qualifizierten Rotlichtverstoß ( mit mehr als einer Sekunde Dauer) begangen zu haben. Als Beweismittel stand lediglich ein Polizeibeamter zur Verfügung, der die Dauer der Rotlichtzeit geschätzt hat. Trotz Vorhandensein einer Haltelinie hat der Polizeibeamte bei seiner Schilderung auf das Passieren der Ampel durch den Betroffenen abgestellt.
Die Feststellung belegen daher lediglich einen einfachen Rotlichtverstoß. Zunächst dürfte regelmäßig eine Haltelinie bei passieren vorhanden sein. Soweit diese vorhanden ist, ist bei der Bemessung der Rotlicht diese maßgebend (vgl. OLG Köln NZV 2004, 651). Ein Abstellen auf das Passieren der Ampel wäre demgegenüber rechtsfehlerhaft. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung müssen die Amtsgerichte in den Urteilsgründen die von den Zeugen angewandte Messmethode darstellen und sie hinsichtlich ihrer Beweiskraft werten, gegebenenfalls auch mit einer kritischen Wertung Abschläge vornehmen (vgl.OLG Hamm Beschluss vom 18.07 2009). Etwas anderes gilt nur bei einer gezielten Rotlichtüberwachung, bei der der Tatrichter seine Überzeugung aufgrund von Angaben eines den Tathergang beobachteten Polizeibeamten, der die Dauer der Rotlichtphase lediglich schätzt, gewinnen kann. Hierbei kann schon das einfache mitzählen für die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoß getroffen werden (OLG Brandenburg DAR 1999, 512.)
Regelmäßig ist die konkrete Messmethode zu hinterfragen. Freie Schätzungen aufgrund gefühlsmäßig Erfassung sind generell ungeeignet. Es bedarf vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Überprüfung der Schätzung auf ihre Zuverlässigkeit zulassen, wie beispielsweise der Zählweise beim mitzählen, der Geschwindigkeit des Betroffenen, seine Entfernung von der Haltelinie bei Lichtwechsel auf Rot.
01.04.2020
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung – akuter Handlungsbedarf wegen Corona?
Gerade wegen der derzeitigen Corona-Pandemie erreichen mich und auch meine geschätzten Kollegen vermehrt Anfragen zum Thema „Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung“.
Brauche ich so etwas? Worüber genau kann ich verfügen? Was muss ich beachten und wer darf meinen Willen letztlich wie durchsetzen?
Mit diesem Beitrag kann und will ich nicht alle aufkommenden Fragen beantworten. Ich will auch nicht damit „werben“, dass unbedingt anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss, denn das ist tatsächlich weder vorgeschrieben noch in jedem Fall erforderlich. So sind beispielsweise über die Homepage des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz entsprechende Textbausteine frei abrufbar.
Es ist auch nicht meine Absicht, Panik zu verbreiten, denn selbstverständlich kann es gerade bei einer Covid-19 Erkrankung möglich sein, dass der betroffene Patient bei einer Krankenhausaufnahme seine Behandlungswünsche und den Ablauf noch äußern und mitbestimmen kann, so dass der Rückgriff auf eine Patientenverfügung gar nicht erforderlich wird. Jedenfalls aber ist in der jetzigen Situation dringend zu überlegen und zu hinterfragen, ob es nicht ratsam wäre, für den Fall einer Erkrankung an Covid-19 explizite Ausnahmen in der – ggf. schon bestehenden - Patientenverfügung zu treffen, die Patientenverfügung mindestens aber zu prüfen und zu konkretisieren:
Wir alle wissen nämlich noch zu wenig über diese Erkrankung und die möglichen Folgen und Spätschäden. Es scheint momentan aber jedenfalls so zu sein, dass zumindest keine dauerhafte intensivmedizinische Behandlung (in der Regel durch Beatmung) erforderlich ist. Im schlimmsten und hoffentlich nicht eintretenden Fall steht aber eine solche Behandlung bereits aus Kapazitätsgründen nicht mehr allen erkrankten Patienten zur Verfügung. Die Ärzte müssen dann im Vorfeld eine Entscheidung („Triage“) darüber treffen, welche Patienten nicht (weiter) behandelt werden können.
In diesem Zusammenhang wurde jüngst von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) ein Kriterienkatalog veröffentlicht, an dem sich Ärztinnen und Ärzte orientieren können, wenn während der Covid-19-Pandemie die Ressourcen in Notaufnahmen und Intensivstationen nicht mehr ausreichen und sie unter Schwerkranken eine Auswahl treffen müssen. Dort heißt es unter anderem, dass Patienten, die eine Intensivtherapie ablehnen, nicht intensivmedizinisch behandelt werden. Ob eine Intensivtherapie abgelehnt wird, soll dabei auf der Grundlage des aktuell geäußerten oder (wenn eine Äußerung nicht mehr möglich ist) des erklärten (z.B. in einer Patientenverfügung!) oder des früher mündlich geäußerten und mutmaßlichen Willens erfolgen. Bereits hierdurch wird deutlich, dass einer Patientenverfügung sehr viel Gewicht zukommt und zu beachten ist, dass bspw. die Ablehnung intensivmedizinischer Behandlungen gerade auch in der jetzigen Zeit an konkrete Bedingungen geknüpft werden muss.
Was genau ist nun aber unter eine Patientenverfügung zu verstehen beziehungsweise was passiert, wenn Sie eine solche nicht erstellen?
Mit der im Gesetz unter § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB genannten „qualifizierten Patientenverfügung“ können Sie einen „konkreten Behandlungswunsch“ äußern und damit eine eigene Entscheidung treffen. Liegt eine solche konkrete und im Übrigen wirksame Verfügung vor, muss diese eigene Entscheidung des später nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten ohne „Wenn und Aber“ umgesetzt werden. Der Vorsorgebevollmächtigte oder Betreuer, also meist ein naher Angehöriger, muss dann „lediglich“ noch prüfen, ob eine Lebens- und Behandlungssituation vorliegt, für die die qualifizierte Patientenverfügung zuvor erstellt worden ist.
Diese auf den ersten Blick für den Bevollmächtigten hart anmutende Prüfung ist damit aber gleichzeitig eine Erleichterung, denn dieser muss keine eigene Entscheidung mehr darüber treffen, welche ärztlichen Maßnahmen getroffen oder unterlassen werden sollen.
Vor genau dieser schwerwiegenden Entscheidung steht der Bevollmächtigte aber in den Fällen, in denen entweder gar keine oder aber eine zwar gut gemeinte aber zu unkonkret gefasste oder aus sonstigen Gründen unwirksame schriftliche Patientenverfügung vorliegt:
Gemäß § 1901a Abs. 2 S. 1 Alt. 1 und Alt. 2 BGB muss der Bevollmächtigte dann nämlich die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten selber feststellen und auf dieser Grundlage selbst entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist dabei aufgrund „konkreter Anhaltspunkte“ zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind also höchstens noch frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.
Die damit einhergehenden Probleme liegen auf der Hand und die bei dem Bevollmächtigen (also in der Regel einem nahen Angehörigen) entstehenden Zweifel und Gewissenskonflikte werden diesen vermutlich lange begleiten.
Nehmen Sie sich also die Zeit, kaufen Sie weniger Toilettenpapier und sprechen Sie dafür lieber miteinander (mutmaßlicher Wille) oder erstellen Sie bestenfalls eine qualifizierte Patientenverfügung. Dies nicht nur, um eine eigene Entscheidung zu treffen sondern auch und ganz besonders, um Ihren Angehörigen eine sonst schwerwiegende Entscheidung abzunehmen.
29.11.2019
Arzthaftung: Umkehr der Beweislast bei einem Befunderhebungsfehler
Arzthaftungsprozesse werden nach der jeweils geltenden Beweislast entschieden. Der Patient steht dabei vor der Herausforderung, nicht nur einen Fehler des Arztes beweisen zu müssen - es muss darüber hinaus, wenn nicht ein „grober Behandlungsfehler“ festgestellt werden kann, auch feststehen, dass sich dieser Fehler tatsächlich auch ausgewirkt hat, also für die eingetretenen Gesundheitsschäden „ursächlich“ gewesen ist. Etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers gehen dann voll zu Lasten des Patienten und führen in einer Vielzahl von Fällen zur Klageabweisung vor Gericht.
Anders sieht die Sache aus, wenn ein so genannter Befunderhebungsfehler im Raume steht. Ein solcher wird bejaht, wenn es nach der jeweiligen Sachlage „medizinisch zweifelsfrei geboten“ gewesen wäre, weitere Befunde einzuholen (also weitere Abklärungen zu veranlassen). Unterlässt es der Arzt, solche medizinisch gebotenen Befunde einzuholen, ist ihm ein Befunderhebungsfehler anzulasten.
Dieser Fehler wirkt sich dann, für den Patienten günstig, auf die Frage der „Ursächlichkeit“ aus:
War es überhaupt nicht mehr nachvollziehbar, dass der Arzt die gebotenen Befunde nicht erhoben hat, kann ein „grober Befunderhebungsfehler“ bejaht werden. War dieser grobe Befunderhebungsfehler zur Verursachung des Gesundheitsschadens auch nur generell geeignet, ist es Sache des Arztes, zu beweisen, dass es gänzlich unwahrscheinlich ist, dass sich dieser Fehler ausgewirkt hat. Dieser Beweis ist in der Regel vom Arzt kaum zu führen.
Aber auch ein „einfacher Befunderhebungsfehler“ kann sich beweisrechtlich zum Vorteil des Patienten auswirken. Wenn sich nämlich bei der gebotenen Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (dazu reicht in der Regel schon eine nur 50 %ige Wahrscheinlichkeit aus) ein reaktionspflichtiger Befund gezeigt hätte, dessen Verkennung oder die Nichtreaktion hierauf nicht mehr nachvollziehbar wären, dann ist ebenfalls der Arzt in der Beweispflicht.
In der Praxis sollte und wird daher jeder Patientenanwalt den Fokus möglichst auf etwaige Befunderhebungsfehler richten. Kann ein solcher bejaht werden, steigen die Erfolgsaussichten mehr als deutlich.
29.11.2019
Sturz im Krankenhaus/Pflegeheim: Berücksichtigung bestehender Vorschäden und Gebrechen
Haftungsrechtlich relevant ist vor allem der Sturz eines Patienten beziehungsweise Bewohners im Zusammenhang mit einer „konkret geschuldeten Hilfeleistung“ ().
Weil der Aufenthalt des gestürzten Patienten/Bewohners aufgrund bereits vorbestehender Gebrechen erforderlich war, wird seitens des Haftpflichtversicherers teilweise eingewandt, dass die Verletzungsfolgen nicht auf den Sturz sondern auf die bereits vorbestehenden Gebrechen zurückzuführen seien.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (u.a. Urteil vom 19.04.2005, VI ZR 175/04) steht aber eine Mitursächlichkeit, sei es auch nur als Auslöser neben erheblichen anderen Umständen, der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich. Der Schädiger kann sich nach ständiger Rechtsprechung auch nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge bereits vorhandener Beeinträchtigungen und Vorschäden besonders anfällig zur erneuten Beeinträchtigung gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre. Dementsprechend ist die volle Haftung auch dann zu bejahen, wenn der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und den Unfallverletzungen beruht, ohne dass die Vorschäden "richtunggebend" verstärkt werden.
Es genügt also grundsätzlich eine „Mitursächlichkeit“ des Sturzes für die eingetretenen Schäden. Der gesamte Schaden wird dann dem Krankenhausträger zugerechnet. Eine Ausnahme besteht nur in den Fällen, in denen der Schädiger beweisen kann, dass durch den Sturz tatsächlich nur ein abgrenzbarer Teil des Schadens entstanden ist. Dieser Beweis ist aber regelmäßig kaum zu führen.
29.11.2019
Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen „Arglist“
Bevor es insbesondere im Bereich der Personenversicherungen zu einem Vertragsschluss zwischen dem Versicherer und dem interessierten Kunden kommt, werden diesem Fragen zu seinem Gesundheitszustand gestellt – der Versicherer möchte schließlich wissen, ob er einem gesunden oder einem gesundheitlich bereits vorbelasteten Kunden Versicherungsschutz anbieten soll.
Bei der Beantwortung der „Gesundheitsfragen“ ist dabei größte Sorgfalt geboten. Beantwortet der Versicherungsnehmer die Fragen falsch, stehen dem Versicherer erhebliche Gestaltungsrechte zu:
Er kann den Vertrag anpassen, kündigen oder von diesem zurücktreten, je nachdem ob die gefahrerheblichen Fragen fahrlässig, grob fahrlässig oder vorsätzlich falsch beantwortet wurden und die weiteren im Gesetz verankerten Voraussetzungen erfüllt sind. An eine dieser Voraussetzungen, nämlich die wirksame Belehrung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung gemäß § 19 Abs. 5 VVG, sind strenge Anforderungen geknüpft. Eine solche wirksame Belehrung, die dem interessierten Kunden gerade die Bedeutung der Gesundheitsfragen vor Augen halten soll, ist nach der Rechtsprechung aber dann nicht erforderlich, wenn dem Versicherungsnehmer sogar eine „arglistige“ Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen zum Vorwurf gemacht werden kann – in diesem Falle kann der Versicherer, ohne dass es auf die Frage einer Belehrung ankäme, den Vertrag „anfechten“.
Der Bundesgerichtshof hat dies in einer Entscheidung vom 12.03.2014, IV ZR 306/13, damit begründet, dass der arglistig handelnde Versicherungsnehmer insoweit nicht schutzbedürftig ist, denn die von § 19 Abs. 5 VVG bezweckte Information des Versicherungsnehmers über die Folgen seines Verstoßes gegen die Anzeigepflichten verfehlt für den arglistig handelnden Versicherungsnehmer ihr Ziel, weil dieser selbst weiß, dass er vertragswidrig Falschangaben macht, um den Versicherer zum Abschluss eines Vertrages zu veranlassen, den dieser bei wahrheitsgemäßer Unterrichtung in dieser Form nicht geschlossen hätte.
Weil die Grenze zwischen „vorsätzlicher“ und „arglistiger“ Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen eng ist, sprechen die Versicherer deshalb neben einem nur hilfsweise erklärten Rücktritt vom Versicherungsvertrag häufig die Anfechtung des Vertrages aus, gerade weil es in diesen Fällen auf eine wirksame Belehrung im Zusammenhang mit der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht ankommt.
Im Rechtsstreit ist dann die Frage zu klären, ob arglistiges Handeln zu bejahen ist:
Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass dieser sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags beeinflusst werden kann.
Der Begriff der Arglist erfasst dabei nicht nur ein von betrügerischer Absicht getragenes Handeln, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens“ reduziert sind. Voraussetzung ist aber immer, dass dem Versicherungsnehmer bei der Beantwortung der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder nach früheren Behandlungen überhaupt bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Antrags überhaupt zu beeinflussen.
Weil aber selbst eine bewusst unrichtige Beantwortung von Gesundheitsfragen nicht immer nur in der Absicht geschehen wird, den Willen des Versicherers entsprechend zu beeinflussen, muss der Versicherer nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde.
Hier ist also immer im Einzelfall zu prüfen und darzulegen, was sich der Versicherungsnehmer bei Abgabe einer objektiv falsch beantworteten Gesundheitsfrage gedacht hat.
© 2023 Kanzlei Dollinger — Impressum / Datenschutz
Design by gubokoecherlock